Counter Space

Ozan Güngör
HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG UND KUNST

Counter Space is a project that aims to challenge the perception of space as a backdrop to our daily 

Raum, so wie wir ihn kennen – und hier sowie im restlichen Text wird «wir» bewusst verwendet, um die Lesenden in diesen Denkprozess einzuladen, da wir alle Teil dieser räumlichen Vorstellung sind –, entsteht nicht zufällig, sondern wird durch gesellschaftliche, politische und materielle Prozesse geformt. Er reguliert, was sichtbar wird, wie Bewegungen stattfinden und welche Zugänge geschaffen oder verwehrt werden.

Doch was passiert, wenn wir diese Logik ablehnen? Was, wenn Raum nicht etwas ist, das vermessen, unterteilt und begrenzt wird, sondern vielmehr etwas, das praktiziert, hinterfragt und neu gedacht werden kann?

Dieser Text untersucht «Counter Space» – ein Konzept, das die dominante Raumlogik unserer gebauten Umgebung, Institutionen und Wissenssysteme herausfordert. Statt bestehende Räume einfach zu negieren oder zu bekämpfen, setzt sich Counter Space auf eine andere Weise mit ihnen auseinander. Es ist eine Methode des räumlichen Widerstands, die sich durch Interventionen, Workshops, Publikationen und Dialoge entfaltet – Praktiken, die unsere Vorstellung von Raum erschüttern, neu verhandeln und umgestalten.

 

Die Geschichte beginnt mit einem Rechteck – genauer gesagt mit einem Quadrat.

Jede Counter-Space-Präsentation beginnt mit dieser grundlegenden geometrischen Form – einer fundamentalen Darstellung von Raum. Architekt:innen erkennen sie sofort als das essenzielle Bauelement von Grundrissen – eine Komposition von Rechtecken, die Grenzen auf einer leeren Fläche schaffen, Räume definieren, die später weitere Grenzen und Räume in unserer gebauten Umgebung formen. Ein Raum wird durch seine Grenzen definiert: Um ein Raum zu sein, muss er ein Innen von einem Aussen trennen, einige einschliessen und andere ausschliessen. Diese ausschliessende Funktion ist seine primäre Eigenschaft.

Doch Raum ist nicht nur eine Frage physischer Abgrenzung – er ist auch eine Frage dessen, was innerhalb dieser Grenzen erkennbar und begreifbar ist. Ein Raum umfasst nur das, was von denjenigen, die ihn definieren, erfasst, kategorisiert und quantifiziert werden kann. Dieses Prinzip reicht über die Architektur hinaus und erstreckt sich bis in unsere kollektive Vorstellungskraft: Selbst das unermessliche Universum ist innerhalb der Grenzen astrophysikalischen Wissens gefasst. Was sich innerhalb dieser Grenzen befindet, wird von Expert:innen rationalisiert, und was noch unbekannt ist, soll mit der Zeit entschlüsselt werden.

Erst jenseits der Grenzen des Universums – wo auch immer sie sich befinden – existieren Möglichkeiten für parallele Universen, für Räume, die nicht an die Gesetze der Physik gebunden sind. Hier lösen sich die Beschränkungen unserer rationalen Welt auf, und die Vorstellungskraft übernimmt die Kontrolle. Im Gegensatz dazu sind wir innerhalb unserer definierten Räume einer Ordnung unterworfen – einer physischen, konzeptuellen und institutionellen Ordnung. Diese Logik bestimmt nicht nur die gebaute Umgebung, sondern auch das Metaphysische. Alles, was sich einer Rationalisierung entzieht – Träume, Geister und Halluzinationen –, existiert ausserhalb des von uns geschaffenen Raums. Diese Erscheinungen durchqueren unsere Räume willkürlich und ignorieren die zahllosen Abgrenzungen, die wir geschaffen haben, um Körper zu strukturieren, einzuschliessen und zu kontrollieren.

Dies gilt nicht nur für das Metaphysische, sondern auch für die materiellen Wege, auf denen Raum regiert und erfahren wird. Verschiedene Lebensweisen stellen die dominante Logik der Raumproduktion infrage, indem sie kapitalistische Modi der Kommodifizierung, des Besitzes und des Eigentums ablehnen – Praktiken, die Grenzen festlegen und andere ausschliessen. Indigene Lebensformen in unterschiedlichsten geografischen Kontexten widersetzten sich beispielsweise fundamental der Vorstellung, Land zu besitzen. Ohne Eigentum können starre Räume – jene, die Kontrolle, Verwaltung und Ausschluss erfordern – nicht entstehen. Anstatt durch Eigentumsrechte begrenzt zu sein, bleiben diese Räume in einem Zustand der Veränderung, geformt durch Beziehungen anstatt durch Vorschriften. Im Gegensatz dazu ist in der dominanten westlichen Vorstellung Ausschluss keine zufällige Nebenwirkung der Raumproduktion – er ist ihre zentrale Bedingung. Ausschluss, als Funktion von Besitz und Kontrolle, macht Raum erst erkennbar, regierbar und durchsetzbar.

Somit ist das Raumkonzept, wie wir es verinnerlicht haben, eine Konstruktion westlicher Epistemologie. Counter Space ist nicht nur die Umkehrung dieses Rahmens. Es ist nicht einfach eine Dekonstruktion von Raum oder dessen Negation. Vielmehr fordert es eine völlig andere Vorstellungskraft – eine, die sich weigert, das Rechteck als fundamentale Darstellung von Raum zu akzeptieren, und stattdessen neue Möglichkeiten für das Denken, Bewohnen und Organisieren unserer Welten eröffnet.

 

Wie manifestiert sich Counter Space?

Counter Space lehnt die starre, ausschliessende Logik der Raumproduktion ab und zeigt sich in vielfältigen Formen: Installationen, Interventionen, Workshops, Publikationen und Diskurse. Statt eine feste Methodologie vorzugeben, ist es ein flexibles Rahmenwerk, das Räume neu interpretiert und alternative Formen der Nutzung erprobt.

 

Installationen und Interventionen: Räume anders erfahren

Durch Installationen und Interventionen werden Raumstrukturen hinterfragt – sei es durch physische Eingriffe, geführte Touren oder digitale Formate, die neue Narrative eröffnen. Einige sind dauerhaft zugänglich, andere temporäre Irritationen im Raum. Beispiele:

  • «Unofficial Kunstmuseum» (laufend) – Selbstgeführter Audio-Walk im Kunstmuseum Basel (erstmals vorgestellt an den Kunsttagen Basel, 30.08.2024)
  • «Pharma Cartography» (13.09.2024, Basel) – Kartografische Intervention zur Pharmaindustrie
  • «Basel Kolonial City Tour» (22.10.2023, Culturescapes «Sahara», Basel) – Koloniale Spuren sichtbar machen
  • «Towards a New Present» (31.08.2024, Kunstmuseum Basel) – Kooperation mit stöckerselig
  • «Projected Perceptions» (05.07.2024, Kunstmuseum Basel) – Walkshop zur institutionellen Kritik
  • «Unofficial Novartis Campus » (06.03.2023, Novartis Campus Basel)

Diese Projekte erforschen Machtverhältnisse im Raum und schaffen Alternativen zu bestehenden Strukturen.

 

Workshops: Gemeinsames Verlernen von Raum

Workshops dienen dazu, dominante Raumlogiken zu hinterfragen und neue Praktiken zu entwickeln. Bewegung spielt eine zentrale Rolle: Wie navigieren Körper durch Räume? Welche Grenzen sind sichtbar, unsichtbar, verinnerlicht?

-       «Spaces of Resistance» (26.–27.11.2024, HGK Basel)

-       «Urban Across Disciplines» (2024, Universität Basel) – Studierendenbeteiligung am Forschungsprojekt

Diese Formate verbinden Theorie und Praxis und ermöglichen es, Raum als dynamisches Konstrukt zu erforschen.

 

Publikationen und Diskussionen: Counter Space in den Diskurs einbringen

Neben physischen Eingriffen entfaltet sich Counter Space in Publikationen und Diskussionen, die den Raumdiskurs erweitern. Konferenzen, Vorträge und Medienformate spielen dabei eine zentrale Rolle:

  • -       Konferenzen und Vorträge:
  • -       «New Experimental Research in Design» (14.11.2024, TH Augsburg)
  • -       «Intersectionality in Arts, Activism & Academia» (23.11.2023, Universität Bayreuth)
  • -      Radiosendungen und Podcasts:
  • -       «Gatekeeper Radio» (14.01.2024, Kunstverein Freiburg)
  • -       «design.macht.gesellschaft» (14.11.2024, HKB Bern)
  • -       Publikationen:
  • -    «Vom Fluss des Wassers zum Fluss des Geldes» (Sammelband, Unofficial Hiking Society AG & Multiwatch, Bern)
  • -    «Unofficial Hiking Society» (Monografie, Edizione Multicolore, Berlin/London)
  • -    «Didn’t You Get the Memo» (Sammelband, DPR Barcelona)

Diese Publikationen und Diskussionen hinterfragen bestehende Raumordnungen und experimentieren mit neuen Kommunikations- und Dokumentationsformen.

 

Eine Praxis ohne feste Form

Letztendlich ist Counter Space eine Praxis, die sich jeglicher Kategorisierung entzieht. Jede Iteration reagiert auf ihren spezifischen Kontext und geht auf die Bedingungen, Geschichten und Ausschlüsse der Räume ein, mit denen sie sich beschäftigt. Doch um unsere tief verankerten Raumwahrnehmungen und -praktiken zu verändern, reicht reiner Diskurs allein nicht aus. Gerade deshalb nimmt Counter Space viele Formen an – von Interventionen über Installationen bis hin zu kollektiven Prozessen –, um dieser Herausforderung zu begegnen. Praxis ist dabei ebenso zentral wie der Diskurs selbst.

Anstatt eine dominante Raumlogik durch eine andere zu ersetzen, schlägt Counter Space eine alternative Form des Engagements vor – eine Herangehensweise, die bestehende Raumstrukturen destabilisiert, umgestaltet und von innen heraus hinterfragt. Es ist ein Aufruf, sich vom Rechteck zu lösen, räumliche Möglichkeiten jenseits der Logik von Grenzen zu erforschen und neue Arten der Beziehung zu den Räumen zu entwickeln, in denen wir uns täglich bewegen.

 

Counter Space im Rahmen des Incubator for Design Cultures

Das Incubator-for-Design-Cultures-Programm bot einen wertvollen Rahmen für die Weiterentwicklung von Counter Space. Besonders bereichernd waren die wöchentlichen Input-Sessions, die vielfältige Methoden und Perspektiven vermittelten. Die grosse Bandbreite an Spezialisierungen und Hintergründen der eingeladenen Vortragenden ermöglichte es, das Projekt aus neuen Blickwinkeln zu reflektieren und weiterzuentwickeln.

Ebenso spielten die regelmässigen Präsentationen eine zentrale Rolle: Das wiederholte Vorstellen des Projekts vor einem diversen Publikum sowie die kritischen Fragen und Diskussionen halfen, blinde Flecken zu identifizieren und das Projekt gezielt zu erweitern.

Von besonderer Bedeutung war das Mentoring, das entscheidend zur Präzisierung des Projekts beitrug. Die Expertise der Mentor:innen ermöglichte fruchtbare Diskussionen und gezielte Kritik, zudem öffneten sich wertvolle Netzwerke. Besonders Aylin Tschoepe spielte hierbei eine zentrale Rolle, indem sie den Kontakt herstellte, der die Teilnahme an der Konferenz in Bayreuth sowie die studentische Beteiligung aus dem «Critical Urbanisms»-Programm der Universität Basel ermöglichte.

Ein besonderer Dank gilt meiner Mentorin Aylin Tschoepe für ihre Unterstützung sowie den Programmorganisatorinnen Marianna Meyer und Vanessa Göttle, die mit ihrem kuratierten Input-Programm und der bereitgestellten Infrastruktur diesen Rahmen geschaffen haben.

 

Referenzen
Benjamin, R. (2022). Imagination: A Manifesto. W. W. Norton & Company.

Gramsci, A. (1992). Prison Notebooks. Columbia University Press.

Lefebvre, H. (1991). The Production of Space. Blackwell.

Mouffe, C. (2013). Agonistics: Thinking the World Politically. Verso.