Einführung
Strukturoptimierung ist eine Designmethode, um Bauteile so zu gestalten, dass sie möglichst leicht und gleichzeitig stabil sind. Sie hilft dabei, Materialien effizient einzusetzen und die Leistungsfähigkeit von Konstruktionen zu verbessern. Ursprünglich in der Luft- und Raumfahrt sowie in der Automobilindustrie eingesetzt, gewinnt sie zunehmend an Bedeutung in der Biomedizintechnik. Fortschritte in Design-Software und Fertigungsverfahren haben sie nutzbringender denn je für die Verbesserung von mechanischen Eigenschaften, Nachhaltigkeit und Kosteneffizienz im Design gemacht (Peto et al., 2024).
Dieses Projekt nutzt die Strukturoptimierung, insbesondere die Topologieoptimierung, um das Design von Osteosyntheseplatten zu verbessern. Osteosyntheseplatten sind Implantate, die frakturierte Knochen stabilisieren, um eine korrekte Ausrichtung während der Heilung zu gewährleisten. Ein bedeutender Fortschritt im Implantatdesign ist die Entwicklung patientenspezifischer Implantate (Honigmann et al., 2018; Maintz et al., 2024) . Im Regelfall werden Implantate anhand durchschnittlicher anatomischer Masse und allgemeiner biomechanischer sowie klinischer Vorgaben entwickelt. Chirurginnen und Chirurgen müssen sie im Operationssaal manuell anbiegen, um eine bessere Passform zu erzielen, was jedoch das Implantat schwächt (Park et al., 2016) und die Operationszeit verlängert.
Durch bildgebende Verfahren wie die Computertomografie (CT) in Kombination mit computergestützter Software und additiver Fertigung können Implantate nun passgenau an die individuelle Anatomie eines Menschen angepasst und effizient hergestellt werden. Diese Individualisierung verbessert die Fixierung und reduziert das Risiko von Komplikationen, insbesondere für Patienten und Patientinnen, bei denen Standardimplantate keine sichere Passform bieten. Zudem unterstützt eine strukturelle Optimierung, angepasst an die Konturen des Knochens, die Lastverteilung und kann somit die Genesungszeit verkürzen.
Im Rahmen meiner PhD-Arbeit liegt der Fokus auf Knochenplatten, insbesondere deren Materialauswahl und biomechanischer Eignung für die Behandlung von Frakturen, wie beispielsweise im Unterkiefer. Neue Designs für diese Implantate werden entwickelt und müssen umfassend getestet werden. Hierfür eignet sich die Finite-Elemente-Analyse (FEA), die eine detaillierte Simulation der biomechanischen Belastungen ermöglicht. Da patientenspezifische «digitale Zwillinge» immer häufiger eingesetzt werden, wird die Zusammenarbeit zwischen orthopädischen Chirurginnen und Chirurgen, biomedizinischen Ingenieurinnen und Ingenieuren sowie Datenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern immer wichtiger.
Dieses Projekt zeigt in einer Machbarkeitsstudie, wie mithilfe von Optimierungstechniken und neuen Technologien zukunftsweisende Implantate entwickelt werden können. Ein exemplarisches Anwendungsbeispiel bildet dabei eine Osteosyntheseplatte für eine Fraktur im Bereich des Kieferwinkels (Abbildung 1). Im Incubator-Projekt untersuche ich die Anwendung dieser Methode zur Generierung topologieoptimierter Implantate, die im Institut für Medizintechnik und Medizininformatik an der FHNW Life Sciences hergestellt wurden.
Die Frakturen des Unterkiefers
Der Unterkiefer ist aufgrund seiner exponierten Anatomie und der eingeschränkten Fähigkeit, direkte Traumata zu absorbieren einer der am häufigsten frakturierten Gesichtsknochen . Durch seine Funktion beim Kauen, Sprechen und bei der Atmung ist der Unterkiefer komplexen biomechanischen Kräften ausgesetzt, zu denen unter anderem Biegung, Torsion und axiale Belastung zählen. Während des Kauvorgangs wirken die Kondylen als Hauptkraftträger, während der Kieferkörper entlang seines unteren Randes Druckkräften und entlang seines oberen Randes Zugkräften ausgesetzt ist . Daher ist eine systematische Planungsstrategie für die Frakturbehandlung unerlässlich, damit das Implantat ausreichende Stabilität bietet, ohne zu starr zu sein, da dies die Knochenheilung beeinträchtigen könnte.
Studie
Dieses Projekt im Rahmen des Incubator for Design Cultures konzentriert sich auf die Designoptimierung patientenspezifischer Implantate aus Titan für den Unterkieferwinkel. Basierend auf klinischen und biomechanischen Anforderungen, die zu Beginn der Forschungsarbeit ermittelt wurden (Maintz et al., 2023; Maintz, Seiler, Thieringer, de Wild, 2022), wurde das Implantatdesign entsprechend angepasst. Die patientenspezifische Unterkiefergeometrie entstammt der Segmentierung von CT-Aufnahmen einer Patientin am Universitätsspital Basel, die einer Datennutzung zugestimmt hat. In Zusammenarbeit mit craniomaxillofazialen Chirurgen wurde die Positionierung der Kortikalschrauben strategisch geplant: vier Schrauben entlang der äusseren schrägen Linie und vier entlang der Unterkante des Unterkiefers. Diese Anordnung folgt den Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen, da sie die Druckkräfte entlang der unteren Kante und die Zugkräfte entlang der oberen Kante des Kiefers berücksichtigt .
Die topologieoptimierten Ergebnisse sind in den Abbildungen 2–4 zu sehen. Finite-Elemente-Simulationen sind eine numerische Methode zur Analyse mechanischer Strukturen und biologischer Gewebe unter verschiedenen Belastungsbedingungen. Sie ermöglichen die Berechnung von Spannungen, Dehnungen und Verformungen, indem komplexe Geometrien in kleinere, diskrete Elemente unterteilt werden. Diese Methode wird insbesondere in der biomechanischen Forschung genutzt, um patientenspezifische Implantate und deren Verhalten unter realistischen Belastungsszenarien zu untersuchen. In den Finite-Elemente-Simulationen wurden mehrere Lastfälle berücksichtigt, unter anderem vollständiger Kieferschluss, Biss im Frontzahnbereich, Biss an den linken und rechten Molaren sowie Szenarien ohne Widerstand des Oberkiefers. Dabei wurden Konstruktionsvorgaben definiert, die eine Integration der Schraubenkopfringe in eine einheitliche, zusammenhängende Implantatstruktur sicherstellten. Die Topologieoptimierung erfolgte unter Verwendung von Titan Grade 4 als Implantatmaterial und wurde im Institut für Medizintechnik und Medizininformatik an der FHNW gefertigt.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen das Potenzial der Kombination aus Topologieoptimierung und additiver Fertigung, um personalisierte Implantate herzustellen, die sich ohne vorheriges Biegen an die Patientenanatomie anpassen. In zukünftigen Forschungsarbeiten werden wir am Institut für Medizintechnik und Medizininformatik an der Schule für Life Sciences FHNW und bei der Swiss MAM an der Universität Basel die topologieoptimierten Implantate unter verschiedenen biomechanischen Bedingungen evaluieren und sie mit Standardimplantaten vergleichen. Eine zusätzliche klinische Validierung ist notwendig, um ihre biomechanische Überlegenheit vollständig zu bestätigen.
Aus praktischer Sicht können diese topologieoptimierten Implantate auf einem herkömmlichen Desktop-Computer in etwa drei Stunden generiert werden style='mso-element:field-separator'>(Maintz, Seiler, Thieringer, Wild, 2022) . Die Segmentierung, Modellaufbereitung und die simulierte Validierung des gesamten Designs und der Analyse nahmen ungefähr sechs bis sieben Stunden in Anspruch. Die Effizienz dieses Verfahrens unterstreicht das Potenzial der Topologieoptimierung in klinischen Anwendungsfeldern.
Strukturoptimierte Implantate bieten eine Alternative zu manuell gebogenen Platten, die häufig intraoperativ in Form gebracht werden. Da das manuelle Biegen entfällt, könnten sowohl die Operationskosten als auch das Komplikationsrisiko durch verlängerte Operationszeiten reduziert werden. Ein patientenspezifisches Implantat, das an die individuelle Anatomie angepasst und darauf ausgelegt ist, den Kaubelastungen standzuhalten, verspricht verbesserte postoperative Ergebnisse. Mit den anhaltenden Fortschritten in der additiven Fertigung direkt in Krankenhausumgebungen bietet diese Methode zur Gestaltung von Osteosyntheseplatten grosses Potenzial für eine patientennahe Planung und Produktion individualisierter Implantate. Die Entwicklungen auf diesem Gebiet fördern nicht nur die Innovation in der medizinischen Forschung, sondern haben auch direkte Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit. An der Vernissage des Incubator for Design Cultures der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel FHNW am 15. November 2024 zeigte sich, dass die Besuchenden grosses Interesse an unseren Bemühungen zur Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten für Unfallpatienten haben. Die Menschen erkennen das Potenzial patientenspezifischer Implantate, chirurgische Ergebnisse zu optimieren, die Genesungszeit zu verkürzen und letztlich den Standard der Versorgung zu heben.
Schlussfolgerung
Das Design von Osteosyntheseplatten hat sich durch Fortschritte in der Materialwissenschaft, den Operationstechniken und den digitalen Technologien erheblich weiterentwickelt. In diesem Projekt wird ein alternativer Ansatz für das Plattendesign bei Unterkieferfrakturen vorgestellt, der Techniken der Strukturoptimierung einsetzt. Dadurch lassen sich patientenspezifische Merkmale in einem «digitalen Zwilling» berücksichtigen und biomechanische Anforderungen direkt in den Konstruktionsprozess integrieren.
Dank
Ich möchte mich herzlich bei Prof. Michael de Wild für seine Unterstützung im Bereich der Materialwissenschaften sowie bei Daniel Seiler für seine Expertise im 3-D-Druck bedanken. Klinische Unterstützung erhielt ich von Prof. Florian Thieringer am Universitätsspital Basel, während Prof. Philippe Cattin mich im Rahmen der Optimierung mit Navigation und bildgebenden Verfahren unterstützte. Mein besonderer Dank gilt auch meinen Mentoren, Dr. Tino Stankovic und Dr. Sven Herrmann, die mich während des Programms intensiv in den Bereichen Topologieoptimierung und In-silico-Validierung begleitet haben. Dieses Projekt wurde finanziell durch das «Minimally Invasive Robot-Assisted Computer-guided LaserosteotomE»-Projekt (MIRACLE) gefördert, von der Werner Siemens-Stiftung sowie durch die Stiftung FHNW unterstützt.
Referenzen
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