Spiele als spekulative Werkzeuge für die Gestaltung von Zukünften und alternativer Realitäten

Lena Frei
HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG UND KUNST

Können Spiele zu einer kritischen Praxis ermuntern und uns einen gesunden Umgang mit der Zukunft ermöglichen? Im Projekt «Games as Speculative Tools to Design Futures and Alternative Realities» setzte ich mich mit dieser Frage auseinander und erkundete durch das Gestalten von Spielprototypen, welche Verbindungen es zwischen Computerspielen und dem spekulativen Design gibt.

 

Doch vor allem stellt sich die grosse Frage: Was bringt es überhaupt, sich mit der Zukunft zu beschäftigen? Unsere Gesellschaft steht vor grossen ökologischen und sozialen Herausforderungen. Das Auseinandersetzen mit der Zukunft kann dabei helfen, Resilienz zu entwickeln gegen das, was Alvin Toffler 1970 als Zukunftsschock benannt hat: die persönliche Wahrnehmung von zu viel Veränderung in zu wenig Zeit (Toffler, 1972, S. 10). Weiter gibt es verschiedene Arten, wie wir uns mit der Zukunft beschäftigen können. Im «Speculate this!»-Manifesto von Uncertain Commons wird unterschieden zwischen firmativer und affirmativer Spekulation (Uncertain Commons, 2013). Bei firmativer Spekulation geht es um das Minimieren von Risiko, und dem Beseitigen von Unsicherheiten. Versicherungsunternehmen und Trader an der Börse betreiben diese Art der Spekulation. Bei der affirmativen Spekulation geht es jedoch darum, Unsicherheit anzunehmen und sich auf mögliche Zukünfte einzulassen, ohne jemals vollständig vorhersagen zu können, wie diese realisiert werden. Dieses Denken fördert Lebensweisen, die kreativ mit Unsicherheit umgehen und kollektive Interessen betonen (Uncertain Commons, 2013).

 

Affirmative Spekulation kann als kritische Praxis genutzt werden, um in der Gesellschaft existierende Befangenheiten und Unstimmigkeiten aufzuzeigen und darauf aufzubauen. Spekulation als kritisches Design ist also verankert im Hier und Jetzt. Es geht darum, die Unsicherheiten und die Komplexität der Probleme zu akzeptieren – nicht darum, Trends vorherzusagen oder andere davon zu überzeugen, wie eine erstrebenswerte Zukunft aussähe. Dunne und Raby schlagen in ihrem Standardwerk «Speculative Everything» eine Methode vor, die Fragen aufwirft und Probleme findet, anstatt sie zu beantworten und nach Lösungen zu suchen (Dunne & Raby, 2014, S. vii). Es geht ihnen um Provokation, Humor, Denk- und Diskussionsanstösse. Durch spekulatives Design können so komplexe, abstrakte Sachlagen und Probleme, zum Beispiel die menschgemachte Klimaerwärmung, erfahrbar gemacht werden. So rückt die Zukunft auch in den Hintergrund, und die Spekulation geht in alle Richtungen.

 

«Staying with the trouble does not require such a relationship to times called the future. In fact, staying with the trouble requires learning to be truly present, not as a vanishing pivot between awful or edenic pasts and apocalyptic or salvific futures, but as mortal critters entwined in myriad unfinished configurations of places, times, matters, meanings.» (Haraway, 2016, S. 1).

 

Doch eignen sich Spiele für diese Art der kritischen Auseinandersetzung? Es war schon immer eine Herausforderung, zu sagen, was Spiele sind und warum wir sie spielen. Von Brettspielen, Sport, Pen-and-Paper-Rollenspielen bis hin zu Computerspielen: Das Medium ist bemerkenswert vielfältig und es gibt keine einheitliche Definition, die auf alle Spiele passt. Selbst wenn wir uns auf digitale Spiele eingrenzen, umfassen sie ein grosses Spektrum, das von «casual» bis hin zu Hardcore-Spielen reicht und verschiedene Plattformen, Narrative, Spielweisen und Ästhetiken einschliesst. Aber eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind Systeme, die aus Regeln, Objekten und spezifischen Konfigurationen bestehen, die interaktiv sind und mit denen wir spielen (Salen & Zimmerman, 2004, S. 55).

 

Auf der einen Seite bestehen Spiele also aus einer festen Struktur, aber Spiel bedeutet auch Bewegungsfreiraum. Eine Schraube hat Spiel, wenn sie nicht ganz festsitzt. Spiel ist nicht funktional, es ist die Bewegung die trotz der Regeln, des fixen Systems möglich ist. Das heisst, Spiele sind nicht nur interaktive Systeme, sondern es sind Systeme, mit denen wir spielen und die spielerische Auseinandersetzungen ermöglichen.

 

Eines der Besonderheiten von digitalen Spielen ist die Handlungsfähigkeit, die die Spielenden besitzen. Diese gibt Spielenden die Möglichkeit, schwierige Entscheidungen zu treffen und ethische Dilemmas und Grauzonen auszukundschaften. Diese bestehen zwar nur innerhalb der Spielwelt, des «magischen Kreises» (Huizinga, 1949, S. 10), aber sind bedeutungsvoll für die Spielenden. Für den kritischen Umgang mit schwierigen Themen braucht es eine Abstimmung zwischen der Handlungsfähigkeit der Spielenden und dem Raum der Möglichkeiten, den das Spiel aufmacht. «Uncertainty is a key component of every game. If a game is completely predetermined, the player’s actions will not have an impact on the outcome of the game and meaningful play will be impossible» (Salen & Zimmerman, 2004, S. 189). Diese Offenheit ermöglicht affirmative Spekulation als Teil der bedeutungsvollen Spielerfahrung.

 

Ein weiterer spannender Aspekt von Spielen als System ist, wie Frank Lantz schreibt, dass Spiele im Allgemeinen die Systemkompetenz fördern (Lantz, 2023, S. 134). Indem sich Spielende mit Systemen befassen, lernen sie, unabhängig von Qualität und Inhalt des Spiels, wie Systeme funktionieren. Ganz ähnlich, wie Lesen generell die Lesekompetenz fördert. Es ist eine Fähigkeit von entscheidender Bedeutung in einer Welt, die mit dynamischen und komplexen Herausforderungen wie Klimawandel und Biodiversitätsverlust konfrontiert ist (Lantz, 2023, S. 137).

 

Spiele sind also Systeme mit denen und durch diese gespielt wird. Durch das Treffen von Entscheidungen können schwierige Themen ausgelotet und in bedeutungsvolle Spielerfahrungen eingebettet werden. Zudem, sozusagen nebenbei, üben sich die Spielenden im Systemdenken.

 

Ein Simulationsspiel auf Basis von Permakultur?

Im Rahmen des Incubator-Programms habe ich verschiedene Prototypen und Bilder zu den Themen Städtebau und Ökosystem-Management erstellt. Durch die Gestaltung fand ich neue Probleme und Fragestellungen. So kam zum Beispiel die Frage auf, wie ich ein Städtebau-Simulationsspiel gestalten kann, bei dem die Umwelt nicht nur als Ressource verwendet wird, sondern diese als eigenständge Entität mit vielen verschiedenen Stakeholdern wahrnehmbar macht. Ressourcen-Abbau und die Herstellung von neuen Objekten geschieht oft unkritisch und ohne Konsequenzen für die Spielenden. Durch die sorgfältige Gestaltung der extrahierenden Spielmechaniken könnte dies verbessert werden. Mit dem Thema hat sich auch Spielentwicklerin Joanna Rauhut beschäftigt, und schlägt unter anderem vor, dass extrahierende Tätigkeiten im Spiel eine angemessene Anstrenung, Geschick und Wissen der Spielenden abverlangen sollten (Rauhut, 2024, S. 48). Es erscheint sinnvoll, Spielmechaniken unter die Lupe zu nehmen und zu untersuchen, welche Mechaniken und Narrative verbreitet sind, welche Deutungsmöglichkeiten diese zulassen und mit welchen Abänderungen eine kritische Spielpraxis gefördert werden kann.

 

Diese Überlegungen inspirierten mich zur Entwicklung von «Skyfarm» (Arbeitstitel: «PermaGarden») – einem Landwirtschafts-Simulationsspiel, das ein tiefgehendes Verständnis für die inneren Zusammenhänge eines Garten-Ökosystems vermittelt und Spielmechaniken auf Basis der Permakultur sowie der regenerativen Landwirtschaft integriert. Es spielt auf dem Dach eines Wolkenkratzers einer überfluteten Megacity und die Spielenden haben die Aufgabe, ihren Garten zu pflegen, Lebensmittel zu ernten und die Biodiversität zu erhöhen. Durch Tauschhandel können sie Materialien mit anderen Dachgärtner:innen tauschen, um neue Pflanzen und Gartenelemente freizuschalten.

Die Prinzipien der Permakultur eignen sich ideal als Grundlage für ein Spiel, da sie nicht feste Anleitungen vorgeben, sondern vielmehr ein aufmerksames Beobachten, schrittweises Anpassen und die Förderung resilienter Systeme erfordern. Kurz gesagt: Es geht um die Interaktion mit dynamischen Systemen, mit dem Ziel, einen nachhaltigen und ertragreichen Garten aufzubauen.

In «Skyfarm», das auch nach dem Abschluss des Incubator-Programms weiter in Entwicklung ist, werden die Permakultur-Prinzipien in die Simulation von Boden, Pflanzenwachstum und Wetter integriert. Das Spiel wird Elemente wie Regenwassernutzung, Mischkulturen, Bodensanierung und andere Methoden erhalten, um die Spielenden zu ermutigen, vielfältige und resiliente Systeme zu erschaffen. Durch das Spielen mit der Garten-Simulation sind die Spielenden dazu ermutigt, die Ergebnisse zu beobachten und kreativ auf neue Herausforderungen zu reagieren.

Auch die Games-Industrie steht vor vielen Herausforderungen, was ökologische und soziale Nachhaltigkeit angeht. Wäre es möglich, nicht nur Gärten und Gemeinschaften, sondern auch Computerspiele nach permakulturellen Gestaltungsprinzipien zu entwickeln? Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Spiele durchaus als spekulative Werkzeuge geeignet sind – sowohl für Spielende, die innerhalb von Spielsystemen spielerisch mit möglichen Zukünften und alternativen Realitäten interagieren können, als auch für die Spielentwickelnden selbst, als Teil einer kritischen Designpraxis.

 

 

Referenzen

Dunne, A., & Raby, F. (2014). Speculative everything : design, fiction, and social dreaming. MIT Press.

Haraway, D. J. (2016). Staying with the trouble : making kin in the Chthulucene. Duke University Press. https://doi.org/10.1515/9780822373780

Huizinga, J. (1949). Homo ludens : a study of the play-element in culture. Routledge & K. Paul. https://doi.org/10.4324/9781315824161

Lantz, F. (2023). The beauty of games. The MIT Press.

Rauhut, J. (2024). Resource exploitation in crafting games: Exploring design alternatives for mainstream videogames (Unveröffentlichte Masterarbeit). IT University of Copenhagen, Center for Digital Play.

Salen, K., Zimmerman, E. (2004). Rules of play : game design fundamentals. MIT Press.

Toffler, A. (1972). Der Zukunftsschock ([5. Aufl.]). Scherz.

Uncertain Commons, U. C. (2013). Speculate this! Duke University Press. https://doi.org/10.1515/9780822376934