Digitale Transformation umsetzen

Jane Haller
HOCHSCHULE FÜR MUSIK

Die Hochschule für Musik Basel (HSM) bewarb sich deshalb mit einem zweijährigen Projekt «Digitale Transformation an der Hochschule für Musik Basel (HSM)» beim Lehrfonds der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), der gegründet wurde, um die Lehrentwicklung insbesondere in Bezug auf die Digitalisierung zu unterstützen. Dieses Projekt will die Veränderungen positiv und proaktiv aufnehmen, um eine geeignete Antwort darauf zu formulieren. Die Kultur des Zusammenspiels (im Präsenzmodus) ist ein hohes Gut auf dem Campus der HSM, das auch künftig im Zentrum aller Aktivitäten – Lehre, Forschung, Konzert und Kreation – stehen soll. Ergänzend gilt es, die Möglichkeiten der Digitalisierung wie orts- und zeitunabhängiges Wirken, Austausch, künstlerische Verwendung zu nutzen, wo sie sinnvoll und mehrwerterzeugend sind.

Das Projekt wurde von der FHNW finanziert und ging der Frage nach: Wie kann die Hochschule für Musik sich organisieren, um diesen Veränderungen reflektiert und mit dem Fokus auf einen Mehrwert für die Musikausbildung zu begegnen? Welcher Support ist nötig, welche Prozesse oder Formate braucht es dafür? Aber auch welche neuen Technoliegen bieten einen Mehrwert für die Lehre?

Im Incubator for Design Cultures habe ich mich als Gesamtprojektleiterin mit dem Teilaspekt der Organisationsform beschäftigt.

 

Vorgehen

Bedarfsanalyse

Zu Beginn des Projekts wurde eine umfangreiche Bedarfsanalyse (Fragebogen, Interviews, Expertise aus Fachgruppen) durchgeführt, um den Ist-Zustand der digitalen Lehre an der HSM zu erfassen und die spezifischen Bedürfnisse der Dozierenden zu ermitteln. Die Ergebnisse der Bedarfsanalyse zeigen die breite Verwendung von digitalen Tools mit grossen Unterschieden zwischen einzelnen Dozierenden. Die Analyse offenbarte einen Schulungsbedarf, insbesondere im Umgang mit KI-gestützten Anwendungen und komplexeren digitalen Tools. Dozierende äusserten das Bedürfnis, ihre didaktischen Konzepte durch die Integration von Technologie zu erweitern und ihre Studierenden besser auf die digitale Arbeitswelt vorzubereiten.

 

Schulungsangebote

Auf Basis der Bedarfsanalyse wurden verschiedene Schulungsangebote und Workshops (z. B. zum Einsatz von interaktiven Videos und Apps im Unterricht, zum Gebrauch von digitalen Portfolios oder KI) entwickelt, um die digitalen Kompetenzen der Dozierenden zu erweitern und einen Austausch zu ermöglichen.

 

Beratungsangebote

Ein weiteres Element des Projekts war die Bereitstellung von Beratungsangeboten für Dozierende der HSM, um sie in der Nutzung digitaler Technologien und Tools in der Lehre zu unterstützen. Diese Beratungsangebote stellten sicher, dass die Dozierenden individuelle Fragen und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung ihrer Lehre adressieren konnten und somit gezielt und praxisnah Unterstützung erhielten.

Das Angebot an Workshops und Beratung kann durch die Schaffung bzw. Weiterführung einer Projektstelle weiterhin garantiert werden.

 

Plattform für digitale Ressourcen

Um die Nachhaltigkeit des Projekts sicherzustellen und den Zugang zu digitalen Ressourcen zu erleichtern, wurde eine spezifische Intranetseite erstellt. Ziel dieser Plattform ist es, zentrale Informationen zu musikspezifischer Software und Hardware für die Lehre bereitzustellen, einen Überblick über Schulungs- und Weiterbildungsangebote zu geben und eine Sammlung von Best-Practice-Beispielen für die digitale Lehre zu bieten. Die Website richtet sich an Dozierende der HSM und soll langfristig als zentrale Anlaufstelle für alle Fragen zur Digitalisierung in der Lehre an der HSM dienen.

 

Prüfung und Ausbau von digitaler Technologie / Apps

Zusätzlich wurden Apps, Tools und neue Technologien auf ihren Einsatz in der Musikausbildung geprüft: Wo bieten sie einen Mehrwert? Anschliessend folgt die Frage, welche Konsequenzen dies für die HSM als Organisation hat. Im Nachfolgenden vier Beispiele für Tools, Technologie oder Apps, die wir geprüft und z. T. ausgerollt haben:

VR-Einsatz in der Mikrofonierung: Studierende sollen zukünftig mithilfe von Virtual Reality die Möglichkeit erhalten, verschiedene Mikrofonpositionierungen in einem virtuellen Raum testen und die akustischen Ergebnisse in Echtzeit hören zu können. Das erspart den aufwendigen Auf- und Abbau im Raum und bietet Studierenden die Möglichkeit, auch ausserhalb des Aufnahmestudios zu üben. Im Rahmen des Projekts wurde untersucht, ob die Audioqualität gut genug ist, um einen Lerneffekt zu ermöglichen.

Dieses Vorhaben erwies sich als äusserst schwierig. Erst im Verlauf der Zeit konnte überhaupt definiert werden, welche Kompetenzen notwendig waren, um die Frage zu beantworten. Der Ausgangspunkt war die VR-Technologie, zu der wir einen sehr pragmatischen Anwendungsfall formulierten (bessere Effizienz, weil Aufbau und Abbau der Mikrofone im Studio entfällt), um dann bei der sehr technischen Frage der Audioqualität zu landen.

Erst durch die Zusammenarbeit zwischen Hochschule für Technik (VR-Kompetenz), Dozierende HSM und Forschung HSM (virtuelle Akustik) konnten wir einen Schritt vorankommen. Die Ergebnisse sind noch nicht schlüssig und werden weiter bearbeitet.

Koala-App: Die Annotations-App Koala unterstützt die auditive Analyse von und den Austausch über Musik. Die Anwendung wurde in einem Workshop vorgestellt und nach positiven Reaktionen wird sie einer Arbeitsgruppe von Dozierenden und Studierenden zur Verfügung stehen, um allenfalls mit Verbesserungen im Herbstsemester 2025 für die ganze HSM ausgerollt zu werden. Es handelt sich um eine Eigenentwicklung der Hochschule für Musik Freiburg, die wir aufgrund personeller Verknüpfungen übernehmen können. Diese Entwicklung war nötig, da es bis anhin kein Tool gab für die Kollaboration und Diskussion über Audio-Files.

OV-Boxen für latenzarmes Musizieren: Da an der HSM bisher keine Tools für latenzarmes Musizieren in Remote-Situationen (gemeinsames Musizieren über Distanzen hinweg) existierten, wurden nach Evaluation verschiedener Systeme OV-Boxen angeschafft. Diese ermöglichen latenzarmes Musizieren mit hoher Audioqualität über das Internet und basieren auf der TASCAR-Technologie. Zwei OV-Boxen wurden für die HSM gebaut und dem Ausleih-Pool hinzugefügt, sodass Dozierende und Studierende sie ausleihen können.

Singing upon the notebook: Im Folgenden handelt es sich um die Evaluation und anschliessende Erweiterung einer bereits erfolgreichen Anwendung. Für eine umfangreichere und langfristigere Nutzung von contrapunto.ch (eine im Rahmen eines anderen Lehrfonds entstandene Web-App für das Training des improvisierten Kontrapunkts) wurden zusätzliche Inhalte konzipiert und produziert. Die neu entstandenen Tutorials sind vernetzt mit neuen Übungsvideos für den speziellen Player von contrapunto.ch. Dadurch hat die Webseite drei Mal so viel Material, deckt auch mittelalterliche Improvisationstechniken ab, und ist stärker mit anderen digitalen Ressourcen zur historischen Improvisation verknüpft.

 

Lessons Learned

Die Breite der Möglichkeiten der Digitalisierung hat dazu geführt, dass im Projekt Tools und Anwendungsszenarien erarbeitet worden sind sowohl für den Instrumentalunterricht wie auch für den Theorieunterricht und Pädagogikkurse.

Erschien dies erst als mangelnder Fokus und eine Schwierigkeit im Projekt, konnte durch die Erarbeitung von Kriterien zur Evaluation von Projekten und Produkten diese Breite besser bearbeitet werden.

 

Bedenken erkennen und adressieren

Durch den Fragebogen und die Workshops wurde sehr deutlich, wie wichtig eine Sensibilisierung für das Thema digitale Lehre in der Musik war. Vor allem war es wichtig, immer wieder zu kommunizieren, dass die Digitalisierungsbestrebungen eine Ergänzung und kein Ersatz für persönlichen Austausch sind.

 

Komplexität erfordert geballte Expertise aus verschiedenen Disziplinen

Bei eher technischen Fragen war die Komplexität der Fragestellung sehr hoch, hier brauchte es pädagogische, audiotechnische, gestalterische und IT-Expertise. Erst im Laufe des Projekts konnte die nötige Expertise definiert und somit akquiriert werden. Die Zusammenarbeit erwies sich jedoch als gegenseitig äusserst befruchtend.

 

Hands-on-Herangehensweise

Ein persönliches Learning, das vor allem im Incubator for Design Cultures entstand, war die Einsicht in zwei unterschiedliche Arbeits- und Denkweisen, wenn es um die Umsetzung von digitalen Lösungen und Prozessen für administrative Abläufe ging.

Mit meiner schulischen und universitären Ausbildung habe ich gelernt, vor allem analytisch zu denken und vorzugehen, d. h. mit einer eher systematischen und methodischen Herangehensweise die Lösung von Problemen anzustreben. Eine Fragestellung oder ein Problem zu definieren, Daten sammeln, analysieren, mögliche Zusammenhänge zu erkennen und darauf eine Lösung auszudenken. Erst danach mit dem «Bauen» der Lösung zu beginnen.

Im Gegensatz dazu scheint in der Zusammenarbeit mit Fachpersonen der HSM der Ansatz Learning by Doing besser zu funktionieren. Erst in der Auseinandersetzung mit dem Tool, erst durch die visuelle Abbildung eines Prozesses oder nach dem ersten Durchlaufen konnten wir von einem gemeinsamen Verständnis ausgehen und Verbesserungen gemeinsam definieren.

 

Ausblick

Die nötigen Prozesse und Formate, um die Möglichkeiten der Digitalisierung für die HSM zu nutzen sind noch nicht final definiert. Klar ist, dass wir Fachpersonen brauchen, um die Sensibilisierung und Weiterbildung voranzutreiben. Denn wir können nicht von Anfang an von einem gemeinsamen Verständnis, einer geteilten Wissensbasis ausgehen, die Kenntnisse und Kompetenzen der Dozierenden variieren stark und das Thema ruft auch Abwehrreaktionen hervor. Gleichzeitig kann die Komplexität der Fragestellungen vor allem bei der Erarbeitung von neuen Tools nicht durch eine einzige Person abgedeckt werden. Es braucht daher sowohl Personen, die über ausserordentliches technisches Know-how verfügen, als auch pädagogisch geschulte Personen, die beraten können und andere Dozierende vom Mehrwert überzeugen können. Es gibt keine Baukastenlösung, stattdessen arbeiten wir mit Prozessen und Kriterien, um allen möglichst individuell die beste Lösung bieten zu können.