Digital Fashion

Eva Katherina Bühler
HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG UND KUNST

 Einleitung und Zielformulierung

Dieses Projekt wurde durch die Entdeckung eines digitalen Designprogramms ausgelöst, welches das Potenzial hat, den entwerfenden Prozess für Mode-Designer:innen grundlegend neu zu definieren. CLO3D, ursprünglich für die Gaming-Industrie entwickelt, ermöglicht einen vollständig digitalen Arbeitsablauf: die Erstellung und Modellierung von Kleidungsstücken und deren Anpassung an einen lebensgrossen Avatar – ganz ohne physische Werkzeuge.

Mein Ziel bei der Teilnahme am Incubator for Design Cultures war es, das innovative Programm CLO3D zu erlernen und zu untersuchen, wie es die Art und Weise verändern könnte, wie der kreative Prozess von der Idee bis zum fertigen Kleidungsstück im Bachelor-Studiengang Mode-Design an der HGK Basel gelehrt wird.

Insbesondere wollte ich erforschen, inwiefern das digitale Entwerfen mit CLO3D eine Chance ist, den traditionellen Designprozess neu zu definieren und was diese Innovationen für uns in der Zukunft bedeuten könnten. Parallel zu meiner eigenen Erforschung des digitalen Programms habe ich eine Lehrveranstaltung entwickelt.

Die Ergebnisse des Incubator for Design Cultures zeigten sich so auf zwei Ebenen: das eigene, künstlerisch-forschende Erkundung dieses neuen Tools für meinen eigenen Designprozess und die praktisch-kritische Vermittlung eines neuen, digitalen Tools und seines Kontextes an Studierende.

 

Ausgangslage: Der analoge Entwurfsprozess

Der entwerfende Prozess in der Mode ist nie linear und nie gleich, aber er beinhaltet immer zwingend die Arbeit mit physischer Materialität und die physische Arbeit mit dem Mensch als physisches Gegenüber. Je nach Entwurf werden über den Zeitraum des ersten groben Entwurfs bis hin zum finalen Prototypen bis zu zehn Mouluren einer Kleididee erstellt.

Jede neue Version der Moulure wird am Körper angepasst und auf Passform und Ästhetik am Menschen geprüft: Änderungen werden direkt auf der beigefarbenen Baumwollnessel, der Moulure, markiert und anschliessend im Schnitt angepasst. Eine neue Moulure wird hergestellt und der Prozess wiederholt sich. Es erfordert viel Zeit, viel Handarbeit, viel Kontrolle, viele Meter Material und auch viel Geduld seitens des Menschen, der die Moulure anprobiert. Auch soziale Kompetenzen der Studierenden müssen gelernt werden, denn jede Anprobe mit und an einem Menschen ist auch eine zwischenmenschlich und körperlich vulnerable Situation.

 

Digitale Impulse

Die Neubewertung von Modeprozessen unter Einbeziehung und Nutzung neuer, digitaler Möglichkeiten ist ein komplexes und grosses Unterfangen.

Dennoch gibt es konkrete Ansätze dieses Wandels durch technische Innovationen: Nicht zuletzt durch die Pandemiesituation der letzten Jahre waren führende Retailer und Modehäuser gezwungen, ihre Endprodukte neu zu denken: Wichtige Akteure wie der Onlinehändler Farfetch oder das italienische Modelabel Prada setzen verstärkt auf digitale Produktpräsentationen, die den Kund:innen über virtuelle AR-Programme via Snapchat ein digitales Einkaufs- und Ankleide-Erlebnis ermöglichen.

Bei diesen Beispielen steht neben dem Digitalen durchaus auch ein physisches, käufliches Produkt im Mittelpunkt – gleichzeitig gibt es aber bereits Akteure, die digitale Innovation weitaus radikaler nutzen. Ein prominentes Beispiel ist  The Fabricant aus Amsterdam, das sich als rein «digitales Modehaus» versteht. Alle Entwürfe von The Fabricant  werden mit digitalen Werkzeugen wie CLO3D erstellt, ohne jemals ein haptisches Werkzeug in die Hand genommen zu haben.

Mit ihrem Design- und Arbeitsprozess positionieren sich The Fabricant klar als Gegenentwurf zur derzeitigen Überproduktion von textilen Produkten, an der die Textilindustrie und vor allem die Fast-Fashion-Industrie massgeblich beteiligt ist. The Fabricant beschreiben ihre Maxime bezüglich Nachhaltigkeit wie folgt:  «Always digital, never physical» und: «We waste nothing but data and exploit nothing but our imagination. Operating at the intersection of fashion and technology fabricating digital couture and fashion experiences». Was gut klingt, ist aber zu einfach binär gedacht: Daten brauchen viel Strom und Platz (Rechenzentren). Digital vs. Physisch ist nicht einfach gleich nachhaltig/effizient auf der einen Seite und umweltbelastend auf der anderen. Stichwort: Postdigitalität, die Grenzen zwischen materiell/immateriell, physisch/virtuell sind nicht einfach zu ziehen und vermischen sich ständig auf komplexe Weise.

 

 

Umsetzung der Impulse in der Lehre

In der Wahlpflichtlehrveranstaltung «The Future is Now – The Digital Realm of Designing Fashion» vermittelte ich den Studierenden des BA-Studiengangs Mode-Design das digitale Entwerfen mit dem Entwurfsprogramms CLO3D unter dem Aspekt eines zeitgemässen und nachhaltigeren Zugangs zum eigenen Entwurfsprozess.

Das Potenzial des Digitalen für die Mode liegt darin, dass durch die Innovationen des digitalen Entwerfens ein haptisches Endprodukt nicht mehr zwingend notwendig ist. Bisherige Vorstellungen von modischen Endprodukten werden kritisch hinterfragt und neu gedacht. Nachhaltigkeit wird in diesem Zusammenhang als Möglichkeit verstanden, einen bewussteren Umgang mit den eigenen zeitlichen und materiellen Ressourcen zu entwickeln, textile Endprodukte neu zu denken und das eigene Entwurfsrepertoire zu erweitern. Das digitale Entwerfen mit CLO3D soll als relevantes, nachhaltiges Werkzeug in den eigenen Entwurfsprozess eingebettet werden.

 

Eigener künstlerisch-forschender Prozess

In meinem Projekt für den Incubator for Design Cultures wurde ich HGK-intern von Tena Kelemen und extern von Flavia Bon als Mentorinnen begleitet. Neben wertvollen Gesprächen und kritischen Reflexionen mit Flavia und Tena erfuhr ich grosse Unterstützung durch meinen Vorgesetzten Prof. Dr. Jörg Wiesel, Studiengangsleiter im BA Mode-Design an der HGK. Er ermöglichte mir Weiterbildungen wie den renommierten Kurs «Virtual Fashion Design: The New Real» am Amsterdam Fashion Institute, um mein Wissen zu vertiefen.

Obwohl das Erlernen des Tools CLO3D einen grossen Teil meiner Zeit am Incubator for Design Cultures in Anspruch nahm, war der Lernprozess holprig: Ich erkannte, dass das Tool zwar spannende Möglichkeiten bot, aber auch mit Fehlern und Bugs behaftet war, die durch tägliche Updates behoben werden mussten. In «Glitch: Die Kunst der Störung» weist die Autorin Franziska Kunze darauf hin, dass die Geschichte der technischen Medien oft als Erfolgsgeschichte gesehen wird.

Aber erst seit Kurzem diskutieren wir offen über das Potenzial von Fehlschlägen, Fehlern und Störungen als Mittel zur Innovation und als Momente der Störung, die einen metaphorischen Raum zwischen/neben den Nullen und Einsen sichtbar machen.

Nach zahlreichen Telefonaten, E-Mails und Treffen mit dem IT-Team der HGK und Versuchen, die Softwareprobleme mit dem neuen Programm zu lösen, verwandelte sich meine Frustration allmählich in eine tiefere Erkenntnis: Mein ursprüngliches Ziel, Fehler zu «beheben», verwandelte sich in eine Inspiration. Ich begann, diese Störungen, Bugs und Programmabstürze nicht mehr als Probleme zu sehen, die es zu lösen galt, sondern als kreative Möglichkeiten – als Segen für den Designprozess, nicht als Fluch.

Diese Erkenntnis war der Auslöser für meine aktuelle künstlerische Praxis, die versucht, diese sogenannten Störungen als generativen Input in den Designprozess zu integrieren.

Ich begann, Programmabstürze in Form von kollabierenden Figuren und «glitchenden» Formen wegen ihres visuellen Wertes in Form und Farbe zu schätzen.

Während dieses Perspektivenwechsels in Bezug auf meine eigene künstlerische Praxis erwähnte Flavia Bon in einem Gespräch: «Die Arbeit mit CLO3D ist ein Handwerk.»

Diese Haltung resonierte sehr mit mir. Wie bei jedem Handwerk muss dieses nicht nur geübt werden, sondern vor allem muss die ausübende Person ihr Handwerk anwenden und es hinterfragen, um darin die eigene Haltung, den eigenen Standpunkt auszuloten.

 

Von der Verkörperung zum Avatar (Den Prozess umkehren)

Das Hinterfragen und Herausfordern der Norm war ein Schlüsselkapitel und ein Wendepunkt in meiner CLO3D-Praxis, und zwar in einem grösseren Kontext: Die ständige Konfrontation mit der normativen Körperdarstellung des Avatars, die eine stromlinienförmige, realitätsferne Abbildung einer menschlichen Figur darstellt, hat Experimente initiiert, wie ich diese digitale menschliche Form erforschen, erweitern und somit infrage stellen kann.

Kevin Beaufils und Alexis Berland argumentieren in ihrem Text «Avatar embodiment: from cognitive self-representation to digital body ownership», dass die genaue Form und Ästhetik des digitalen Avatars in direktem Zusammenhang mit der Fähigkeit seiner Nutzer:innen steht, sich mit ihm zu verbinden oder sich von ihm repräsentiert zu fühlen: «Avatar immersion – or ‹avatar embodiment›, in the sense of being incarnated in a virtual body – are crucial to understating how the appropriation of a digital body plays out.»

Das Ziel, die digitalen Avatare des CLO3D-Programms und ihre vorgegebene Ästhetik infrage zu stellen, führte mich dazu, eine diversere Darstellung des Körpers innerhalb der vorgegebenen Parameter des Programms zu erforschen. Ich begann, mehrere Avatare zu morphen, sie miteinander zu fusionieren und sie so zu einer neuen Idee von Körperlichkeit (Form) verschmelzen zu lassen.

Dieser gestalterische Ansatz stellt die normative Darstellung des Menschen im Digitalen infrage und dient mir gleichzeitig als Glitch-Form, an der ich Musterteile abformen kann, um explorativ neue Kleidungsformen zu entwerfen.

Man Ray formulierte diesen subversiven Ansatz in Bezug auf seine eigene künstlerische Praxis wie folgt: «The ensuing violation of the medium employed is the most perfect assurance of the author’s convictions. A certain amount of contempt for the material employed is indispensable to express the purest realisation of an idea.»

In meinem fortlaufenden Projekt «Lucky Glitching: Error as Artistic Practice» sammle ich Störungen, Fehler und Glitches – sowohl als digitale Daten als auch als analoge Artefakte – und überdenke ihren Wert, indem ich sie in den Designprozess einfliessen lasse.

Unter diesem Gesichtspunkt habe ich nach visuellen Fehlern gesucht, einschliesslich einer Sammlung persönlicher Fotos aus den 90er-Jahren aus meinem eigenen Bildarchiv. Auch wenn der Prozess der analogen Fotoentwicklung ein hochtechnisierter Vorgang ist, so ist doch die menschliche Note in diesem Prozess offensichtlich. In fast jedem Stapel entwickelter Fotos befanden sich Abzüge, die die Fototechniker:innen mit einem langen schwarzen Wachskreidestrich als minderwertig/unwertig markiert hatten.

Diese Artefakte, von denen einige sichtbare technische Mängel aufwiesen, andere verschwommen oder unscharf waren, habe ich in CLO3D eingespeist und sie somit als Bilder von Wert re-evaluiert.

 

Methodik

Die Suche nach Fehlern wurde zum Kern meiner künstlerischen Praxis und zu einer Art, die Welt um mich herum zu betrachten; sie ermöglichte es mir, Schönheit und künstlerischen Wert im Ungeliebten und Unterbewerteten zu entdecken.

 

Installation: verschiedene Aspekte und Experimente zusammenführen

Mein Projekt für den Incubator for Design Cultures gipfelte in einer Installation im Raumkunstwerk «Messy Kiosk», einem Projekt des internationalen ConstructLab-Netzwerks, das Teil des öffentlichen Ausstellungsraums CIVIC im Foyer der HGK Basel ist.

In diesem Ausstellungsraum verwandelte ich meine «selbstgemachten» Artefakte in ein zwei- und dreidimensionales visuelles Panoptikum: Das Konzept des Fehlers als künstlerische Praxis zeigte ich in (Programm-)Abstürzen und Pannen in roher Echtzeitbewegung.

Das Sprichwort «Errare humanum est» («Irren ist menschlich») und mein eigener Zusatz «Errare computum est» («Irren ist digital») gingen dabei Hand in Hand.

 

Reflexion, Fazit und Ausblick

Digitales Design bietet grosse Chancen. Eine kritische Auseinandersetzung mit digitalen Prozessen in der Mode, die auf den ersten Blick Nachhaltigkeit versprechen, fehlt noch weitgehend. Handlungsbedarf besteht auf drei verschiedenen Ebenen: dem praktischen Erlernen der neuen Tools, dem kritischen Hinterfragen ihrer Wirksamkeit (jenseits knackiger Slogans) und dem künstlerisch-praktischen Experimentieren. Mein Projekt «Lucky Glitching: Error as Artistic Practice»  setzte auf allen drei Ebenen an. Das praktische Lernen und dessen Vermittlung an die Studierenden, das kritische Hinterfragen (wobei ich diesen analytischen Teil nur ansatzweise verfolgen konnte) und das künstlerisch-praktische Experimentieren, für das ich den Glitch als Ausgangspunkt entdeckte. Die Auseinandersetzung mit CLO3D war für mich äusserst produktiv: Eine Auseinandersetzung, die ich auf jeden Fall auf allen drei Ebenen weiter vertiefen möchte.

 

DANK

An erster Stelle möchte ich mich bei Claudia Perren, Direktorin der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel, Michael Renner, Leiter des Incubator for Design Cultures und Marianna Helen Meyer, Projektleiterin des Incubator for Design Cultures für dieses ungemein inspirierende und vielfältige Format bedanken. Ich möchte mich bei Marianna Helen Meyer und Vanessa Göttle für ihre Professionalität und Unterstützung bedanken, bei Loris Schwärzler, Sean Ledwinka und dem gesamten IT-Team für den unermüdlichen CLO3D-Support. Meinen beiden Mentorinnen Tena Kelemen und Flavia Bon danke ich für ihre wertvollen Anregungen. Ich danke Melanie Buehler und Bakri Bakhit für ihre Unterstützung bei der Konzeptentwicklung, Priska Morger und Andrea Sommer und meinem gesamten Kollegium des BA Mode-Design für ihre Ermutigung, den Studierenden für ihre Begeisterung und ihren Wissensdurst und nicht zuletzt dem Studiengangleiter des BA Mode-Design, Jörg Wiesel, dafür, dass er an die Wichtigkeit dieses neuen Designwerkzeugs glaubt und mich seit dem Frühjahrssemester 2023 dabei unterstützt, es zu unterrichten.


Referenzen:

Ryder, B. (2024, 17. März). Farfetch’s AR company wants you to try on bags virtually. Jing Daily. https://jingdaily.com/posts/farfetch-s-ar-company-wants-you-to-try-on-your-bags-virtually

McDowell, M. (2021, 21. Mai). Snapchat boosts AR try-on tools: Farfetch, Prada dive in. Vogue Business. https://www.voguebusiness.com/technology/snapchat-boosts-ar-try-on-tools-farfetch-prada-dive-in

The Fabricant (2025). Always Digital Never Physical. The Fabricant. https://kerry-murphy-flw7.squarespace.com/ 

[iv] Kunze, F., Bauer, K. (Hrsg.) (2023). Glitch. Die Kunst der Störung = Glitch. The art of interference. Pinakothek der Moderne, München. Distanz, S. 24.